Alte Schriften – Kapitel 4



Der Studienfreund – Teil 2
 

James trank noch einen Schluck aus der Tasse, dann zog er das Buch, mitsamt dem verknitterten Packpapier, zu sich heran.

Von den Worten, die er auf den vergilbten Seiten gesehen hatte, einmal ganz abgesehen, bereitete es ihm Sorge, dass außer William vielleicht noch jemand anderes wusste, dass er Kontakt mit dem Buch hatte – James hatte angenommen er könnte die Sache wieder vergessen; einfach so zu tun als wäre nichts geschehen – immerhin hatte ein solches Vorgehen schon einmal funktioniert.

James fuhr sich nervös durch die Haare.

Auf dem Packpapier stand weder sein Name noch seine Adresse. Darüber hinaus nahm er an, dass der Einzige, der ihn mit dem Buch gesehen hatte und gleichzeitig wusste wo er wohnte, William war. Aber weshalb brachte dieser das Buch ausgerechnet zu ihm, anstatt zurück zu dem Buchhändler, wie James es ihm geraten hatte …

Er packte das Buch kurzerhand und verstaute es sorgfältig in einer Umhängetasche, ehe er sie schulterte und das Haus verließ.

 

William wohnte etwas abseits der Stadt. Da James weder den Dreck, noch den Gestank, mochte der sich in den Untergrundstationen ausbreitete, blieb ihm nur die Option auf ein Taxi, wollte er zeitnah bei ihm sein.

 

Es dauerte nicht lange bis er eines fand und der Taxifahrer bei der U-Bahnstation in der Nähe von Williams Wohnung hielt. James stieg aus und kramte ein ordentliches Trinkgeld hervor.

»Soll ich auf sie warten?!«, fragte der ältere Herr, als er das Trinkgeld sah. James schüttelte den Kopf, »Nicht nötig – Danke …«.

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass das Taxi verschwunden war, legte er die restlichen Blocks bis zur Wohnung zu Fuß zurück. Dort angekommen, stieg er die Stufen zur Tür hinauf. Tageszeitungen – scheinbar aus den letzten Wochen – stapelten sich ungeordnet auf der Fußmatte. Während William weder auf Klingeln und Klopfen, noch auf Rufe reagierte, zweifelte James mehr und mehr daran ihn wohlbehalten aufzufinden.

»William … was hast du bloß getan …?!!«, der Vorwurf war so leise, dass dieser ihn nicht einmal hätte hören können, wenn er direkt vor ihm gestanden hätte.

James warf einen Blick auf die Uhr, deren Zeiger mittlerweile den Nachmittag ankündigten. Wenn er ihm das Buch also nicht gebracht hatte – wer war es dann …?

Er versuchte nicht die Nerven zu verlieren und nachzudenken. Er konnte immer noch rausfinden, was es mit dem Buch auf sich hatte. William hatte, während ihres Treffens, einen Buchladen in der Nähe seiner Wohnung erwähnt aus dem es angeblich stammt. Eventuell könnte der Buchhändler ihm mehr darüber erzählen.

Nachdem James durch mehrere alten Straßen und Gassen geirrt war, entdeckte er jenes Antiquariat nachdem er suchte.

Der Geruch von Gras, einer Spur Säure und einem Hauch Vanille durchdrang den kleinen Laden als er eintrat – der Duft von alten Büchern. Und obwohl der Geruch James über die Jahre hinweg stets willkommen war, so erschien ihm eben dieser Geruch auf einmal unangenehm.

 

Der gebeugte Mann hinter dem Tresen blätterte in einem der abgegriffenen Bände, die sich auf dem Ladentisch stapelten.

»… Entschuldigung … sind … sie der Besitzer des Ladens?«, fragte James eher zurückhaltend.

»Ich passe darauf auf, während er abwesend ist«, entgegnete der Alte.

James überlegte einen Moment ob es ratsam wäre den Alten in die Sache mit hineinzuziehen, als dieser bereits das Wort an ihn richtete, »Kann ich ihnen vielleicht helfen?«. Das Angebot des Mannes schien aufrichtig.

»Kommt ihnen das hier vielleicht bekannt vor?«, James holte das Buch aus der Tasche und reichte es ihm.

Schon nach den ersten Seiten bemerkte James, wie der Alte nervös den Blick hob, »Haben … sie etwa in dem Buch gelesen …?«

James wurde blass. Er hatte nicht nur bei dem Treffen mit William in dem Buch gelesen, sondern auch als er diese gottverdammte Übersetzung angefertigt hatte …!

»… ich … habe einige Zeilen daraus gelesen«, erklärte er, wirkte jedoch nicht halb so gefasst wie er gehofft hatte.

Als der Alte das Buch schloss, senkte er den Blick, »Es ist kein normales Buch. Es zeigt seinem Leser Dinge, die anderen verborgen bleiben … und … es … zehrt von ihnen.«

»Also kennen sie es?!« Der Alte nickte und James schöpfte neuen Mut.

»Je mehr man darin liest, desto leichter wird es … für ihn.«

»Er kommt …« James sprach mehr zu sich selbst, als zu dem Alten, dennoch horchte dieser auf. Mit Nachdruck stellte er James die Frage, »… wie viel haben sie gelesen?!«.

»… zu viel …«

Der Alte reichte ihm das Buch, »Sie müssen jetzt gehen!«

James griff danach – sein Körper fühlte sich taub an – »Kann man es zerstören?«, fragte er schließlich mit leiser Stimme, den Blick auf den Einband gerichtet.

»Ich … bin nicht sicher, ob das möglich ist …«, der Alte wirkte nervös.

James nickte und schob das Buch mit zittriger Hand zurück in die Tasche, »… danke trotzdem …«, seine Stimme klang belegt.

Er kehrte dem Alten den Rücken zu und verließ den Laden, ohne ein Wort zu sagen.

 

Der Abend brach bereits an und in den Wegen und Gassen wurde es dunkel.

James streifte ohne Ziel durch die Straßen, vorbei an alten Giebelfenstern, bis hin zu einem Gewirr aus immer schmaler werdenden Gängen und Gassen. Nach Hause wollte er nicht, denn wer auch immer ihm das Buch gebracht hatte, wusste wo er wohnte.

Die kühle Abendluft half ihm nachzudenken – Keiner durfte mehr in diesem gottverdammten Buch lesen, soviel stand fest. James hielt inne. Vorsichtig holte er das Buch hervor und schlug es auf. Das Pergament, vor ihm, war unbeschrieben. Neugierig blätterte er durch die Seiten, nur um festzustellen, dass seit dem Treffen mit William mehr und mehr Text verschwunden war. Mit Sorgfalt packte er eine der vergilbten Seiten und trennte sie, scheinbar mühelos, von ihrer Bindung. Die Vorderseite zeigte keinerlei Inhalt, doch die Tinte auf der Rückseite begann mit einem Mal zu leuchten … Schmerz breitete sich in seinem Kopf aus und James verlor die Seite, die er noch zuvor in der Hand gehalten hatte. Die Worte auf dem Papier verschwanden eines nach dem anderen und drangen unaufhörlich in seinen Geist. James schrie auf und torkelte benommen rückwärts …

… mit dem Schmerz, verschwanden auch die letzten Zeilen auf der herausgetrennten Seite.

Entsetzt starrte er auf das leere Blatt – und ein grauenhafter Gedanke macht sich in ihm breit … was wäre passiert, hätte er versucht das gesamte Buch, mit all seinen Seiten, zu verbrennen …

James schlug es heftig atmend zu, als er aus den Augenwinkeln etwas bemerkte. Er wandte den Kopf, doch was er sah, war keineswegs eine herumstreunende Katze – Ein dunkler Schatten schleppte sich elendig langsam an den Mauern der Gasse entlang – weder Schritte, noch der kleinste Laut, waren zu hören … James wich zurück – doch was auch immer es war – es kam näher …! Etwas ergriff seinen Fuß. Er kommt, hallte es in seinem Kopf wider. Mit letzter Kraft riss er sich los und rannte keuchend die dreckige Gasse hindurch – bis er sich auf der Straße mit dem Libri wiederfand. Noch immer gehetzt sah er sich um, doch der Schatten war verschwunden.

Erst jetzt bemerkte James den Alten Buchhändler, der gerade den Laden verlassen hatte, und eilte warnend auf ihn zu, »… man kann es nicht zerstören, ohne ihn zu rufen … ich hab es versucht«.

Dieser ergriff beruhigend seine Hand, » … und das haben sie sehr gut gemacht, James«, sprach er sanft, während er seine andere Hand auf dessen Handrücken legte. Erneuter Schmerz durchfuhr James, als er sich von dem Altem losriss – feine Linien brannten sich in seinen Handrücken. James biss die Zähne zusammen.

Der Alte beobachtete James, während dieser nach hinten wich, »… du warst es … du hast es mir gebracht!!«, schrie er, während die Erkenntnis, in grauenhaften Bildern, auf ihn einbrach. Ein Entsetzten spiegelte sich in James Ausdruck wider, das der Alten zufrieden zur Kenntnis nahm.

»Siehst du sie …?!«, säuselte er, während durch den verursachten Tumult mehr und mehr Leute an ihre Fenster traten – doch dort, wo eigentlich Menschen hätten stehen sollen, erblickte James gotteslästerliche Kreaturen.

Als einer der Anwohner auf die Straße trat und sich den Beiden näherte, sprach der Alte besorgt, »… ich glaube, dem Herrn geht es nicht gut«.

Nun bemerkte auch James den Mann und wandte sich panisch um. Bei dem Versuch ihm auszuweichen, stolperte er rückwärts über die Pflastersteine und schlug hart mit dem Kopf auf. Der Alte sah schweigend zu wie James wankend wieder auf die Beine kam und in Richtung Gasse torkelte. »Bleibt ja weg von mir, ihr Drecksviecher …!«, keuchte er als weitere Anwohner auf die Straße traten. James bemühte sich den immer näherkommenden Menschen aus dem Weg zu gehen, doch diese scharten sich langsam um ihn. »Zurück, ihr Dinger!!«, brüllte er hektisch.

Während einige von ihnen versuchten den wild um sich schlagenden James zu beruhigen, hörte man in der Ferne bereits Sirenen. James vom Wahnsinn gepackte Schreie hallten von den bröckelnden Fassaden der alten Wohnhäusern wider, als man ihn festsetzte und in den Einsatzwagen brachte. Nachdem die Polizisten ihn abgeführt und die Anwohner zurück in ihre Wohnungen geschickt hatten, wurden die Straße leer … Nebel zog auf und die Lichter der Laternen, die den Bordstein erhellten, flackerten unstet.

Der Alte strich sich die Kleidung glatt, ehe er mit ruhigen Schritten in jene Gasse hinein ging, aus der er James zuvor hatte kommen sehen … und nach einer Weile fand er es. »Bist du immer noch nicht Satt?!« Er bückte sich und hob das Buch auf, das James so unachtsam hatte fallen lassen. »Wir werden sehen, ob wir noch jemanden finden …«, sprach er versöhnend, ehe er es einsteckte und in der Dunkelheit der Gasse verschwand …

Den Pflegern war es nur mit Hilfe einer Zwangsjacke möglich James in das nahegelegene Sanatorium zu bringen, wo er, eingesperrt in seiner Zelle, noch immer schrie und wild um sich schlug …

Kapitel 4 Ende

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